Sunday, May 17, 2009

Vier Versromane / Vier Mal Liebe



In For All We Know begegnet der Leser/ die Leserin der Liebe durch die Erinnerung eines Liebenden an seine verstorbene Liebe. Ein Mann, der sich an Gespräche mit seiner Geliebten erinnert und dadurch sich, sein Gegenüber und ihre Liebe zu begreifen sucht.

So carefully did you measure your words it seemed to me
You rareley said what first came to mind. You reserved judgement.


Zwischen den Zeilen bleibt eine Unsicherheit hängen, die immer wieder aufflammt. Eine verlorene Liebe, die scheinbar erst im Nachhinein für Unsicherheit sorgte (?). Es bleibt unklar, wer, wie empfunden hat- und doch sind die beschriebenen Gefühle so nah und dicht.

Ganz rational und analytisch hingegen begegnet der Leser/ die Leserin der Liebe in Durs Grünbeins Vom Schnee. Déscartes, der im Winter des 17. Jahrhundert in einem verschneiten deutschen Dorf festsitzt, erklärt seinen Diener, wie die Liebe funktioniert.

„ Zwei Kräfte sind: Begehren und er gute Wille,
Was sie bewegt, die Seele, von der Liebesmacht gereizt.
Amor et Studium- die noble Sorge und der dunkle Trieb,
ein Hochgefühl, und ein Verlangen, kaum zu stillen.
So generös das eine, nährt das andere Eifersucht und Geiz.
Ein Alibi für alle, das ist Liebe, und eine Grund, warum
Die Welt ist, wie sie ist – zerrissen, böse unregiert.“

Ein ewiger Kampf zwischen Geist und Körper scheint für Décartes die Liebe zu sein. Ein grosser Denker kämpft mit seinen Gefühlen und scheitert an denselben. In dem kalten Setting der Winterlandschaft verfolgt der Leser/die Leserin das Ringen von Körper gegen Geist.

Beim dritten Versroman ist das Körperliche des Protagonisten Thema der Ausgrenzung und der Besetzung durch Missbrauch. Autobiography of Red zeichnet das Bild des Liebenden, der still begehrt, liebt und wartet bis es das Gegenüber bemerkt. Geryon steht bewundernd und still im Hintergrund. Gelähmt hofft er auf Erlösung durch eine Begegnung, die nie wirklich stattfindet. Geryon trifft Herakles:

They were two superior eels
At the bottom of the tank and they recognized each other like italics.

Die vermeintliche grosse Liebe löst sich aber nach einer heftigen letzten Liebesnacht in Luft auf.

I once loved you, now I don’t know you at all.


Schlussendlich wird die Liebe im letzten Buch erst durch den Tod möglich. Zwei Brüder, die einen Berg in Tibet besteigen, erlebten zeitlebens Entfremdung und Distanz. Ein lebenslanger Konkurrenzkampf um Anerkennung und Verständnis für die Perspektive des anderen gipfelt im Schneesturm auf dem fliegenden Berg. Mit dem Tod des einen Bruders wird Liebe und Verständnis möglich.

Tot.
Er hatte mich in einem Wirbel aus eisstarren Faltern
In den Armen gehalten.
Er hatte mich gewärmt und mich ins Leben zurückerzählt (...)

Vier Versromane, die unter anderem die Liebe beschreiben. Unterschiedlicher könnten die Protagonisten, die Settings und die Geschichten nicht sein, aber alle vereint die Dichte und Nähe des Geschehens zum Leser/zur Leserin.

Zitierte Werke:

For all We Know Ciaran Carson
Vom Schnee Durs Grünbein
Autobiography of Red Anne Carson
Der fliegende Berg Christoph Ransmayer

Friday, May 15, 2009

der freie Flattersatz

In der “Notiz am Rand”, die Christoph Ransmayr seinem Werk Der fliegende Berg vorangehen lässt, grenzt er sein Werk klar von der Poesie ab. Es sei „da und dort das Missverständnis laut geworden, bei jedem flatternden, also aus ungleich langen Zeilen bestehenden Text handle es sich um ein Gedicht.“ Diesem „Irrtum“ wirkt Ransmayr entgegen indem er sein Werk explizit als Roman (siehe Umschlag) klassifiziert.

Bei der Lektüre wird der Leser jedoch effektiv erstmals dazu verleitet, zu glauben, es handle sich bei dem „in Strophen gegliederten Flattersatz“ um Verse. Der Grund, meint Ransmayr sei, dass „wir uns daran gewöhnt [haben], dass Prosa im Blocksatz daherkommt und Lyrik gemeinhin im Flattersatz. Aber wo steht geschrieben, dass das immer so sein muss?“ (http://oe1.orf.at/highlights/65693.html)

Tatsächlich handelt es sich in Der fliegende Berg um rhythmische Prosa. Diesen Rhythmus glaubt Ransmayr im Flattersatz, den er in Anlehnung an den Titel seines Romans auch den fliegenden Satz nennt, sichtbar zu machen. Als eine Art Partitur soll der Flattersatz auch dem Publikum den Nachvollzug erleichtern, da er dem „Rhythmus des Sprechens“, dem Rhythmus, „in dem [Ransmayr] die Geschichte erzählen würde“, entspreche (ibid.).

Der Blocksatz, so Ransmayr (http://www.medienbuero-niessen.de/84-0-Christoph-Ransmayr-2006.html) ist eine (technisch ökonomische) Druckform, nicht aber eine Erzählform. Ebenso, ist der Flattersatz eine sehr alte Textform, die jedoch auch heutzutage alles andere als ungewöhnlich für Prosatexte ist, wie man zum Beispiel in den Spalten in Tageszeitungen sehen kann (ibid.).

„Der Flattersatz ist frei und gehört nicht allein den Dichtern!!!“ 

Friday, May 8, 2009

Autobiography of Red - silly criticism though I liked it

Anne Carson’s verse novel Autobiography of Red is a rewriting of the Greek myth of Geryon. At least, this is what Carson pretends it to be by adding to the novel a rich frame about the myth by the greek author Stesichoros. According to the myth, Geryon is a red winged monster, the keeper of a cattle of red bulls. He is killed by Heracles whose tenth labor was it to steal that cattle. Carson rewrites this myth from the perspective of the monster or rather the victim.

The story is about a boy who is reputed to be also a red winged monster. However, as the story goes on, the reader can very well imagine that this pretended monstrosity and redness is simply a complex of Geryon who feels different. When Geryon is a child, his elder brother sexually abuses him. Paradoxically – or typically? – later, as he “makes it somehow to adolescence” (39), he is gay too. He meets Heracles and they have a relationship. This relationship does not last; Heracles breakes it off, and brakes Geryon’s heart. But is this already his death, as in analogy to the myth? And what about the cattle? Actually, one could ask several times all through the novel what exactly the reference to the frame is. It says there “Arrow means kill” (13). Of course it could be like Amor’s arrow and Geryon’s death can be understood in a figurative way as his lost of a big love and the consequent death of something inside him. But is that not too simple? What follows does not happen in the novel at all, not even in a figurative way: “It parted Geryon’s skull like a comb Made / The boy neck lean At an odd slow angle sideways as when a / Poppy shames itself in a whip of Nude breeze” (ibid.) The only thing that could be found is maybe that a Poppy is red… .

There are more such examples that show that there is a certain inaccurateness between the story and its frame and Carson knows that. Thus her Stesichoros says at the end of the interview: “so glad you didn’t ask about the little red dog” (149).

Thursday, May 7, 2009

Den Berg bezwingen?

(Vorbemerkung: Dieser blogpost behandelt ganz offensichtlich nicht Ransmayers Buch. Er gibt im besten Fall einen Referenzpunkt, mithilfe dessen man 'Der fliegende Berg' in der Abenteurerliteratur verorten kann).

Erstbesteigungen sind rar geworden. Dies, so eine intuitive Antwort, aufgrund des technischen Fortschritts was Kartographie, Ausrüstung und Medizin betrifft. Bis ins neunzehnte Jahrhundert, in welchem viele dieser Gebiete entscheidend vorankamen, waren solche Expeditionen aber häufige Unternehmungen, welche ausserdem von den entstehenden Staaten materiell unterstützt wurden. Letzteres deshalb, weil der aufkommende Nationalismusdiskurs es für die Elite eines Staates auf eine Weise notwendig machte, ihr Land als das Beste dastehen zu lassen, die uns heute nur noch schwer vorstellbar ist.
Als eine Art Leistungsnachweis lieferten die Abenteurer dem Staat nicht nur Pflanzen und kulturelle Relikte ab, sondern auch Reisetagebücher, also Dokumentationen der Expedition. In einem der wohl bekanntesten Tagebücher dieser Art schreibt der deutsche Forscher Alexander von Humboldt: „[...] sammelten wir viele Steine, von denen wir 2 Sammlungen nach Madrid und Paris schickten und die dritte für das Kabinett des Königs in Berlin bei uns behielten. Wer in Europa würde nicht einen Stein vom Chimborazo haben wollen, und wo gibt es bis heute ein Kabinett, das einen solchen besitzt?“ (Humboldt 2006: 98f.).
Insbesondere ist es aber für diesen klassischen Versuch einer Bergbesteigung im frühen 19. Jahrhundert (Humboldt verfehlte das Ziel, den Gipfel, knapp, weshalb es kein Wunder ist, dass er im Nachhinein befand: „Welchen Nutzen hätte man davon, wenn man seine Instrumente 200 Toisen höher trüge, auf ein Gelände, wo das Gestein sich der Beobachtung entzieht, auf einen Berg, der für magnetische Experimente ungeeignet ist, weil das Gestein die Magnetnadel beeinflußt und selbst Pole besitzt“ (ebd.: 97).) typischerweise ganz zentral, dass es sich um eine Erstbesteigung handelt: „Auch sind wir die ersten Naturforscher gewesen, die diesen Koloß eigens aufgesucht haben. Née und Piñeda haben ihn nur beim Überqueren der ensillada [des Gebirgspasses] gesehen“ (ebd.: 99). Für die nationalistisch motivierten Geldgeber der Expedition wäre es äusserst unglücklich, zu wissen, dass ‚Eingeborene’ den Berg bereits bestiegen hatten, der ja nun als grosse Leistung der deutschen Nation zum ersten Mal von einem Deutschen bestiegen werden sollte.
Natürlich lässt sich an diesem Punkt die Bezeichnung der Erstbesteigung vielfach problematisieren. Auf eine Weise zum Beispiel als männliche Selbstbehauptung (eigenartig: eine Gender-Perspektive auf Menschen in der Vertikale). Auf eine andere Weise, weil nur, dass die zwei einheimischen Führer noch nie auf den Gipfel des Chimborazo bestiegen hatten, noch nicht heisst, dass ihnen nicht andere Menschen zuvorgekommen waren. Mit dieser Problematisierung entmystifiziert sich die ganze Idee einer Erstbesteigung natürlich. Und wirklich: wer traut sich heute noch, zu behaupten, er sei der erste Mensch an einem Ort? Erstbesteigungen sind nicht einfach rar, sie sind gar, die gestrigen wie die heutigen, dubios geworden.

Literatur:
- Humboldt, Alexander von: Ueber einen Versuch den Gipfel des Chimborazo zu ersteigen. Hg. von Oliver Lubrich u. Ottmar Ette. Berlin 2006.

Abbildung:
- Alexander von Humboldt und Aime Bonpland am Fuß des Vulkans Chimborazo. Gemälde von Friedrich Georg Weitsch (1810). Dieses Bild ist gemeinfrei.

Wednesday, May 6, 2009

Der fliegende Berg

Der Versroman von Christoph Ransmayr beginnt mit dem Tod und nimmt mit ihm seinen Anfang in der Geschwisterbeziehung von Liam und Pàdraic. Letzterer erinnert sich nach einem Nahtoderlebnis an seine Kindheit mit seinem Bruder. Er erinnert sich an den grossen Bruder, seinen Vater und seine Mutter. In wunderschönen, berührenden und farbigen Bildern erfährt der/die Leserin die Qualität der Beziehungen innerhalb der Familie.

Wenn Shona (Mutter) mich in einem Zuber unserer Waschküche
gebadet hatte (während Liam, der grosse Bruder
anschliessend und in meinemWaschwasser
ganz ohne Aufsicht Orkane, Sturmwellen
und Schiffskatastrophen entfesseln durfte),
hatte sie ihren Schwamm zu einem Nyemas Singsang
ähnlichen Kinderlied über meinen Körper geführt
und dabei alle Stationen der Waschung benannt, ...

In diesem intimen Bild erkennt der/die Leserin zwischen den Zeilen, wie es um die beiden Brüder, beziehungsweise dem Erzähler und der Mutter, steht. Aber Ransmayr ist nicht nur Meister im Erwecken der Bilder zwischen den Zeilen, er versteht es auch Stimmungen schlicht und leise zu beschreiben, selbst in hoch dramatischen Situationen. Dennoch ist die Wirkung effektiv, denn die Worte sind klar und scharf und werden nur durch das poetische Bild gemildert.

Die Lufttemperatur meiner Todesstunde
betrug minus 30 Grad Celsius,
und ich sah, wie die Feuchtigkeit
meiner letzten Atemzüge kristallisierte
und als Rauch in der Morgendämmerung zerstob.

Es ist beeindruckend, wie die Worte Bilder evozieren, die der Klarheit der Wortbedeutung die Schärfe nehmen. Die Geschichte der beiden Brüder, die vordergründig in einem Konkurrenzkampf stehen und aber Nähe suchen endet im Tod und mit dem Tod entdeckt der Jüngere die Liebe zu seinem Bruder. Ein wundervolles Buch!

Saturday, May 2, 2009

Ciaran Carson on Belfast

I happened to get Ciaran Carson's translation of Dante's Inferno right after we finished discussing For All We Know, and I could not resist reading it right away. It is an exhilarating book, but what I want to refer you to here is this, from Carson's introduction:

Natives of Belfast claim that they can tell each other's identities—Protestant or Catholic—by a combination of accent, vocabulary, clothes, bearing, and gesture.

This confirms our reading of Gabriel's comments to Nina in the second "Birthright" poem in For All We Know.

Thursday, April 30, 2009

Ransmayrs "Der fliegende Berg" - Kitsch oder wunderschöner Epos?

Christoph Ransmayrs “Der fliegende Berg” war der erste Roman, den ich für das Seminar in den Semesterferien gelesen hatte. Daher habe ich mich relativ unvoreingenommen auf das Buch eingelassen und war fasziniert von der poetischen Sprache Ransmayrs. Schon das erste Kapitel hat mich in seinen Bann gezogen. Das Buch fängt mit den Zeilen: “Ich starb / 6840 Meter über dem Meeresspiegel / am vierten Mai im Jahr des Pferdes.” an, und schon ist man mittendrin in Ransmayrs Epos über Bruderliebe und -hass, Natur und Moderne, Leben und Tod.
Viel mehr als der Inhalt hat mich an diesem Roman die Sprache gefesselt. Ransmayr schafft es, sehr detailgetreu zu schreiben, und dabei wunderschöne Bilder zu evozieren:

“Die Lufttemperatur meiner Todesstunde
betrug minus 30 Grad Celsius,
und ich sah, wie die Feuchtigkeit
meiner letzten Atemzüge kristallisierte
und als Rauch in der Morgendämmerung zerstob.” (9)

“Und die Sterne erloschen auch nicht,
als über den Eisfahnen die Sonne aufging
und mir die Augen schloss,
sondern erschienen in meiner Blendung
und noch im Rot meiner geschlossenen Lider
als weiss pulsierende Funken.” (10)

Viele Kritiker scheinen allerdings gar nicht meiner Meinung zu sein, für sie ist Ransmayr “ziemlich kitschig” (Peter Mohr, Titel Magazin), im Tonfall “einer esoterischen Kunst” geschrieben (Ijoma Mangold, Süddeutsche), und die NZZ Online schreibt: “Der hohe Ton, den Ransmayr wie kaum einer beherrscht, läuft Gefahr, sich abzunutzen, und er stösst da an seine Grenzen, wo es Banales zu erklären gibt (wie etwa ein Mousepad)”. Auch Rachel Vogt von der WOZ findet, dass Ransmayr sich in Platitüden verheddert, wenn er von der Liebe spricht.
Es mag sein, dass Ransmayrs gehobener Stil tatsächlich nicht für alle Beschreibungen von Alltäglichkeiten angemessen ist, und zuweilen etwas seltsam anmutet. Man darf aber nicht vergessen, dass dieses Buch eigentlich dazu bestimmt ist, vorgelesen zu werden, und daher der Klang der Sprache, die Wortwahl und die Zeilenumbrüche besonders wichtig sind. Mit diesen Werkzeugen schafft es Ransmayr, wunderschöne, eindrückliche Passagen zu erschaffen:

“Ich war gestorben.
Er hatte mich gefunden.” (11)

“Ich war müde, unsagbar müde.
Wollte liegenbleiben.
Liegenbleiben, schlafen.
Schlafen.” (15)

“Sie beugten sich über mein Elend,
über einen von der Sonne und vom Frost
verbrannten Fremden,
der mit blutenden Händen zu ihren Füssen lag
und der nach den Erzählungen des Sängers
vom fliegenden Berg gefallen war,
aus dem Himmel
in den Schnee.” (23)

So stimme ich mit Ludger Lütkehaus von der Zeit überein, der schreibt: “Aber Ransmayrs Fliegender Berg erinnert auch daran, dass gerade große Literatur öfters dort entsteht, wo die Kitschgrenze nur haarscharf vermieden wird.“

Thursday, April 23, 2009

Geryon's sexual development

Geryon’s first encounter with sex is his brother abusing him. They develop an “economy of sex” (28), Geryon getting marbles for “allowing” his brother access to his body. But he does not just do it for the marbles or because of the pressure, he also thinks: “Pulling the stick makes my brother happy” (28).
This notion of sex as something you do for the sake of someone else stays with him in his relationship with Herakles. At first he does not want to have sex with Herakles, but he knows that he will lose him if he does not. In the chapter right after their conversation about sex we get the sentence: “SPIRIT RULES SECRETLY ALONE THE BODY ACHIEVES NOTHING” (46), that Geryon and Herakles paint on a wall two years later. But if we keep in mind what has happened in the chapter before, we can connect this sentence to Geryon’s sexual experience. For sex to be enjoyable, you need body and mind, and probably Geryon is not yet able to engage mentally in sex. He just “lends” his body to Herakles because he feels it is something he owes him.
This is emphasized in the next chapter, “Lava”, where Geryon has this strange vision of being a woman waiting for her rapist to come up the stairs. In “Somnambula”, the following chapter, Geryon watches two butterflies procreating, and he observes: “How nice, (…) he’s helping him” (49).
A change takes place in “Grooming”, when Geryon finally satisfies Herakles orally:

“Geryon felt clear and powerful – not some wounded angel after all
but a magnetic person like Matisse
or Charlie Parker!” (54)

In this instance, Geryon is finally able to take an active part in their relationship, and by doing so he starts feeling more powerful and in charge of his own sexuality.
But right in the next chapter Geryon paints a “red-winged LOVESLAVE on the garage of the priest’s house” (55), showing that overcoming his abuse will need a lot more time. But Herakles cannot understand that:

“All your designs are about captivity, it depresses me.
Geryon watched the top of Herakles’ head
and felt his limits returning. Nothing to say. Nothing. He looked at this fact
in mild surprise.” (55)

Apparently Herakles is not the right person to help him overcome his negative feelings about his sexuality. Herakles seems to understand that, too, and soon breaks up with Geryon to move on to someone with whom he can enjoy sex more freely.

Wednesday, April 22, 2009

Colours in "Autobiography of Red"

As I asked the question what the significance of red in “Autobiography of Red” is last Friday, I decided to have a closer look at colours in general in the novel. So I collected all the sentences / phrases where colours are mentioned.
Colours are very important to Geryon; he cannot only see them, but he even hears them: “Roses came / roaring across the garden at him. / He lay on his bed at night listening to the silver light of stars crashing against / the window screen.” (84)
Often Geryon uses colours to describe things we wouldn’t usually see coloured: He describes the “dark pink air” (36), “red breezes” (38) the “hot white wind” (49), and a “white Saturday morning” (120) .
All about Geryon himself is red, even his shadow and his dog. When I read the novel for the first time, I was misled to think that Geryon saw most of the world in red, but besides “the intolerable red assault of grass” (23) right at the beginning, I found no other example of Geryon describing something as red when it objectively is not (besides the examples mentioned above, where we would usually see no colour at all). So I thought that maybe Geryon does not describe the grass as red here, but rather the assault of grass. Geryon does not see the world in red, but he sees colours where others do not, and he can even hear and feel them.
Right at the beginning of the novel, in “Red Meat”, we learn that adjectives “are in charge of attaching everything in the world to its place in particularity. They are the latches of being.” (4).
Colours are adjectives, too, of course, and I would argue that the colour red attaches Geryon to his place in the world, signifying his specialty and difference from the rest of the world.

Friday, April 17, 2009

"There is no person without a world" (82)


Today's seminar was "one of those moments/ that was the opposite of blindness" (29) to me. Our discussion opened my eyes and heart for Geryon's autobiography and I can - despite my denying it in my last blog post - identify with him and his experiences after all. I thus read his redness as being different and individual and his red world, as living in his own world, as everybody does. We should all try to understand each other's redness, but we always fail (and a "between" people "a dangerous cloud" (132) develops), as this quote indicates:

"I will never know how you see red and you will never know how I see it./ But this separation of consciousness/ is recognized only after a failure of communication, and our first movement is/ to believe in an undivided being between us." (105)


At the very beginning of the romance, Geryon is a boy - innocent, pure - and has no notion of selfhood and no concept of distinction between outside and inside world. If I was him, I would have taken his brother very seriously, when he called me/him "stupid". As a small girl, I thought we are all part of one world and we can read each others thoughts and be together, helping each other out, being one unit, basically. Bad experiences like Geryon makes with his brother, made us (me and him) realise that we were wrong. Every individual lives in his/her own world - be it red, yellow or whatever - and is wandering around in a sometimes shared space being caght in his/her inner world. We come across other people in life with other worlds and try to give each other a glimpse into one's world. Experiences Geryon makes with Heracles enhance and strenghten the sensibility and sensitivity, and consequently the awareness of being different.

We are all unique and individual, but what we all share is an original and major fear of being misunderstood. We seek for understanding the outside and our inside, but more than that we seek to satisfy our biggest need which is to be understood by others. What motivates us to make distinctions and differences, in my opinion, is to prevent misunderstandings and to improve others' understanding of ourselves. This is my humble and probably oversimplified interpretation of next week's topic "distinctions and differences" and I look forward to our fruitful discussions. To sump up, I think life is all about understanding oneself and being understood by others and love is the feeling that we understand another person's inside world and are understood by that other person (outside). When love fades due to a lack of understanding or being understood, we feel like Geryon and think:

"I once loved you, now I don't know you at all. He does not say this./ I was thinking about time - he gropes - / you know how apart people are in time together and apart at the same time - stops." (141)

I hope you understand me in one way or another.

Claim, no claim

„[...| Stupid, said Geryon’s brother
and left him.
Geryon had no doubt stupid was correct. But when justice is done
the world drops away.“ (p. 24)

I am going to demonstrate the logical form of Appendix C to the „Fragments of Stesichoros“ which precede Anne Carson’s Autobiography of Red. Why would someone want to analyse literature for it’s logical form? First, I am very fond of logic and literature. Second, I have never tried to mix them. But third, and this is the only point that actually seeks to provide this project with a scientific value, I am doing this in preparation for a claim about the text, namely the claim that the seesaw between logic / form and content / language use is itself a very central subject – in the text, and for Geryon.

Appendix C to the Fragments of Stesichoros consist of written fiction by Anne Carson and differs insofar from Appendixes A and B, which contain excerpts from several authors of Greek mythology. This third addendum consists of twenty-one consecutively numbered sentences. In the terminology of logic, all of them but the first one are material implications (those correspond to grammatical conditionals, or ‚if‘-clauses). The first sentence, however, is a disjunction (Either.. or..) of a proposition and its negation, and so are all the consequents of the following implications! The antecedent of the implications is each time one of the disjuncts of the former sentence’s consequent. In formal notation, then, the outlook is the following:


I. (1.) ....... A v !A ........ „A or not A“ (simplified!)
II. (2.-21.) .. A -> (B v !B) . „If A then B or not B.“ (simplified!)
III. (x(II.+1)) B* -> (C v !C). „If B then C or not C.“ (simplified!)

, whereas (Definitions:)

A -> B . is the sentential connective of the material implication (If A then B);
A v B .. is the sentential connective of the disjunction (A or B);
! A .... is the sign for negation (Not A);

A, B, C, [...] Z are simple propositional sentences (like „Stesichoros was a blind man“).

Now a disjunction (like 1.) claims that one of the propositions it takes is true. More precisely, it claims that at least one is, but this is exactly the simplification I marked above (see II., III.). I think it is possible for our purposes to simplify in this way, because all the disjunctions we are facing in (I. - III.) are of the kind that one of the disjuncts is the negation of the other disjunct. This is a special case, because it is a logical contradiction to claim that both propositions are true. In other terms, it is impossible for a proposition to be true while its negation is true. In logic, this is shown with a truth table, where each result shows F (for false):

A || A ^ !A
-------------
T || T F F
F || F F T

(Def.: A ^ B is the sentential connective of the conjunction (A and B).)
(In the case where A is true the conjunction of A and !A is false.)
(In the case where A is false the conjunction of A and !A is false.)

What this means, then, is that the first sentence does not make a claim about anything! It simply asks, says that A („Stesichoros was a blind man“) is true, or that it is not true, and that both cannot be true. Since all following sentences are logical conditionals, with the If-clause being filled with a proposition, which comes from this kind of disjunction, none of the antecedences are ever claimed. And this means, that also the consequences, whose truth in a conditional fully depends on the truth of the respective antecedents, are no claims. What we learn is, that, in Appendix C, not a single simple proposition is actually claimed to be true!

If you have followed this so far you must be thinking: what is all this discussion of logical form good for when there are no claims? This, however, is exactly the notion this Appendix C in my view is there for to provoke. The reader is provoked to ask „What is the use of such a beautifully engineered thought, when eventually it does not refer back to the world and make claims about it?“ This question, however, is one which the world of Autobiography of Red and its characters keep asking our tragic hero Geryon.

Maybe I will post another entry discussing the resulting dialogue in Autobiography of Red.

Wednesday, April 15, 2009

Descartes über die Liebe in "Vom Schnee"

In den Kapiteln 37 und 38 wird Descartes von der Königin gefragt, was Liebe sei. Im ersten Kapitel, „Was Liebe ist“, scheint Descartes sich nicht ganz schlüssig, ob Liebe positiv oder negativ zu bewerten ist. Er beschliesst, sich „hart“ zu geben, und beschreibt die Liebe als „Verbannung“, „Geschwür“ und „uferlos“. Trotzdem ist das, wofür wir uns quälen, ein „Zuckerstück“ und macht uns „weis“, aber eben auch „heiss“.
Die Königin resümiert: „Das heisst, auf Eis gelegt lebt, wer sich selbst nur liebt.“ (126). Daraufhin erwidert Descartes, Liebe sei „ein Grund, warum / die Welt ist, wie sie ist – zerrissen, böse, unregiert“.
Weshalb Descartes hier für die Königin ein so negatives Bild der Liebe zeichnet, ohne die positiven Aspekte ganz ausblenden zu können, wird im nächsten Kapitel, „Was Liebe war“, klarer.
Hier werden zunächst die positiven körperlichen Wirkungen der Liebe beschrieben, sie hält kerngesund und warm, sorgt für eine gute Verdauung und einen ruhigen Puls. Dies kontrastiert er mit den negativen körperlichen Auswirkungen von Hass.
Nach diesen Erläuterungen versinkt Descartes in Gedanken und erinnert sich an die Vergangenheit, an seinen „Winterflirt“ mit Marie. Er erinnert sich, wie „ihm die Welt zu Füssen lag“. Sein Tagtraum wird unterbrochen durch einen Anfall, aber später beschreibt er die Liebe als einen Embryo und auch eine Larve, die beim Schlüpfen stirbt: „Den Falter, / Wer sah ihn je, zerdrückt im Lustgewühl der Leiber?“
Descartes hatte wohl in seinem Leben die Liebe wegen ihrer Körperlichkeit abgelehnt, hatte dadurch aber die Chance verpasst, geistige Liebe (den Schmetterling) zu erleben. Dies bereut er nun auf seinem Todesbett, wo er allgemein seine Körperlichkeit zu akzeptieren beginnt:

„Kann sein, er hat den Gürtel allzu eng geschnallt –
Dass es sie gab, die Liebe, unerkannt: das macht ihn bang.“ (129)

Saturday, April 11, 2009

“identity memory eternity your constant themes” (149)





Anne Carson succeeds in being totally unconventional. She takes up conventional topics such as time, passion and identity, but she also turns conventions upside down. The Canadian classicist and poet was probably the first writer in history ever to retell the episode of Herakles and Geryon from Geryon’s own experience. Hercules becomes an inhumane monster through his personality and behaviour, while “Geryon turned all attention to his inside world.” (30) and thus rises to immortality. In the myth, Geryon was killed by Hercules, but Carson re-imagines a destructive love affair which ends by Hercules breaking Geryon’s heart – “Your heart of my death!” (100). “He forgot for a moment that he was a brokenheart/ then he remembered.” (70). They have a good time together, but Geryon knows that Hercules will never know him back.

“What Geryon was thinking Herakles never asked. In the space between them/ developed a dangerous cloud.” (132)

“... I will never know how you see red and you will never know how I see it. / But this separation of consciousness / is recognized only after a failure of communication, and our first movement is/ to believe in an undivided being between us. ...” (105).

Geryon’s redness and wings stand for his creativity. His redness is his inmost being, his selfhood, but Hercules dreams of him in yellow. Geryon survives through art. Carson turns the myth into the recording and surviving of pain through the viewfinder of poetry. Wings are portrayed as the Platonic image and the creative aspect of love. The beloved might not be worth the pain, but wings lift the true lover’s soul into immortality. While Geryon records all the details of life through the lens of his camera thereby keeping the only secret which is immortality. Pictures are the language which helps Geryon to express himself, since “Raising a camera to one’s face has effects/ no one can calculate in advance.” (135). As a child he feels alienated by language and prefers photography as a means of expression, since “Photography is a way of playing with perceptual relationships.” (65). Exemplary for that is the fly which is floating in a pail of water looks drowned but with a strange agitation of light around the wings. The picture portrayed the fly as being almost alive and somehow immortal. Producing a self-portrait and autobiography, Geryon secures his own immortality.

Besides all that Carson also wrote a profound love story – “a reverie on the mystery of one person’s power over another, seen through the double lens of scholarship and verse” as Ruth Padel put it in her review “seeing red”. Carson writes a sweet and extravagant tale and gives lyric poetry an epic grandeur. Hence she ends up producing a hybrid work of poetry and prose – a verse novel.

In the aforementioned review Ruth Padel describes Carsons’ language as the “language any poet would kill for: sensuous and funny, poignant, musical and tender, brilliantly lighted”. I could not agree more. At times I had difficulties identifying myself with Geryon. Of course I see myself in him when he is seeking for love and his true selfhood, but the events that occur and experiences he makes are sometimes very unfamiliar – cases of defamiliarization, I would say – and I felt even awkward at times. But what I truly and ardently loved was the language Carson uses to describe feelings and thoughts. Here I share my favourite examples with you: “[...]there it was one of those moments/ that was the opposite of blindness. / The world poured back and forth between their eyes once or twice.” (39), “She listens / to the blank space where / his consciousness is, moving towards her.” (48), “but such a cloud of agony poured up his soul he couldn’t remember / what he was saying.” (68), “He lay on his bed at night listening to the silver light of stars crashing against/ the window screen.” (84), “And for a moment the frailest leaves of life contained him ain a widening happiness.” (97), “We would think ourselves continuous with the world if we did not have moods.” (98), “habit blurs perception and language” (107), “There was neither excitement nor the absence of excitement.” (125), and “I once loved you, now I don’t know you at all. He does not say this. / I was thinking about time – he gropes - / you know how apart people are in time together and apart at the same time – stops.” (141). Alice Munro spoke for me when she claimed that: “This book is amazing – I haven’t discovered any writing in years so marvellously disturbing.”

We learn in Autobiography of Red that things must be viewed from different angles in order for us to grasp their worth and meaning. The title suggests that the text is an exploration of particularity and that there are several different ways to be. This is also true for Geryon’s identity construction. Geryon, the only winged red creature, finds himself in total disorientation time and again. On the one hand, his red surrounding symbolises his personal Hell since he spends so much time alone, humiliated, and without a clear sense of being. He is shy, sensitive and senses his difference to others. He is fixed with the inner. But on the other hand, Geryon is a “philosopher of sandwiches” and makes readers sympathise with him during his seek for love and identity. Hence, he is never alone as we side with him. Nevertheless he is a subjective character in a world of subjective reality. He enters a world of ambiguity, where all objects are challenged and made into subjects. He is unique, removed from the world and not subject to its reality. He is unlike other human beings and challenges the convention of the typical human character. He refuses objective routes and finds his own way, creating his own subjective reality, as we see in the example where he refuses to enter the classroom conventionally. Because of all that Geryon is unable to exist in the world of objectivity. Carson depicts a world that lacks convention which is mirrored in her writing style, which constitutes its own patterns not following any conventions of writing or pervious examples. She uses line spacing in random places, neglects punctuation and reworks the original myth. The following passage outlines Carson’s writing process - mediating between subject and object - quite well:

“What if you took a fifteen-minute exposure of a man in jail, let’s say the lava / has just reached his window? / he asked. I think you are confusing subject and object, she said. / Very likely, said Geryon.” (52).

Hence, Geryon has become the subject of his own myth and autobiography. Instead of losing his identity in death, Geryon finds his identity when he flies. His flight can be seen as his final release from all outside objective realities. By flying he achieves true subjectivity. The story is about Geryon’s transposition from object to subject in various ways. In conclusion, everything depends on the experiences and beholder in whose eye reality exists.
“The eye empties.” (140)

Mutations of Autobiography

Throughout Anne Carson's moving novel in verse, Autobiography of Red, Geryon uses various means to pursue his lifelong (?) project of an autobiography. This is the passage in which it is first ecountered:
That was also the day
he began his autobiography. In this work Geryon set down all inside things
particularly his own heroism
and early death much to the despair of the community. He coolly omitted
all outside things. (28)

However, later on his mother mentions on the phone that, at this stage in Geryon's life, his autobiography is a sculpture:
Geryon? fine he's right here working on his autobiography
. . . .
No it's a sculpture he doesn't know how to write yet (35, emphasis in the original)

Apparently, it is a tomato to which a ten-dollar bill has been attached to represent hair (35). Considering Geryon's own colour, his sculpture can be read as a self-portrait. This is the first stage of his autobiographical endeavour.

The next stage is reached once Geryon knows how to write. It is described in chapter "VI. Ideas," the subheader of which reads "Eventually Geryon learned to write" (37):
His mother's friend Maria gave him a beautiful notebook from Japan
with a fluorescent cover.
On the cover Geryon wrote Autobiography. Inside he set down the facts.


Total Facts Known About Geryon.
Geryon was a monster everything about him was red. Geryon lived
on an island in the Atlantic called the Red Place. Geryon's mother
was a river that runs to the sea the Red Joy River Geryon's father
was gold. Some say Geryon had six hands six feet some say wings.
Geryon was red so were his strange red cattle. Herakles came one
day killed Geryon got the cattle.

He followed Facts with Questions and Answers.

Questions Why did Herakles kill Geryon?
1. Just violent.
2. Had to it was one of His Labors (10th).
3. Got the idea that Geryon was Death otherwise he could live forever.


Finally
Geryon had a little red dog Herakles killed that too. (37, emphasis in the original; words that were set in capitals are now bold.)

Though it is not quite clear whether his teacher and his mother are talking about this text, it seems that Geryon's writing is not characterized by happy endings (38). This prompts Geryon to write a new ending:
New Ending.
All over the world the beautiful red breezes went on blowing hand
in hand.
(38, emphasis in the original)

Among the fragments of Stesichoros' writings, there is a highly similar piece entitled "XV. Total Things Known About Geryon," and the new ending corresponds to "XVI. Geryon's End" (14). This insinuates that somehow Geryon's "Autobiography" fell into the hands of Stesichoros (or it might have happened the other way around).

As the third and final stage is reached, we read about how Geryon plans his project and how long he has been (or: will have been?) pursuing it:
This was when Geryon liked to plan
his autobiography, in that blurred state
between awake and asleep when too many intake valves are open in the soul.
[...]
The autobiography,
which Geryon worked on from the age of five to the age of forty-four,
had recently taken the form of a photographic essay. (60)
From that point onwards, mainly individual photographs that are presumably integrated into Geryon's autobiography are described (see 62, 71 [inspired by "Red Patience," a photograph by Herakles' grandmother, 51-52], 72-73, 97, 115, 131, 136, 137, 138, 139-140, 141, 142-144). Additionally, there is one photograph, # 1748, "he never took, no one here took it" (145).

There is only one more explicit mention of Geryon's autobiography. Imagining the end of the world, Geryon muses with what seems like regret that "no one will see my autobiography" (70, emphasis in the original).

Based on the passages quoted here and the implications of Geryon's autobiographical venture, I now want to problematize the use of the term 'autobiography' and to spell out the consequences for our reading of Autobiography of Red. First, with regard to the title, considering the mutations of Geryon's actual (that is, intradiegetical) autobiography, his "photographical essay" cannot be identified with the novel we hold in our hands. This claim is further supported by how many other texts are attached to the main narrative. If we apply a strict understanding of 'autobiography,' it is a logical impossibility that the real, physical death of the autobiographer--who is at the same time, of course, the autobiographee--be part of any autobiography. Because of this, it comes as no surprise that the novel ends without Geryon dying.

When we consider that Geryon wrote of his death at Herakles' hands (and of later events, one might add) when he was about seven, it becomes crystal-clear that Herakles never actually kills Geryon in Carson's rewriting of their myth. Only a naïve reading of the novel would take the Stesichoros fragments and Geryon's own writing to imply that he was eventually killed by Herakles, even though this would add a considerable sense of closure to Autobiography of Red. But for all we know, Geryon might have become even older than forty-four, at which age he then would abolish his autobiography for reasons unknown. The question that remains is how the 'Herakles kills Geryon' story relates to the one that is told throughout the novel, featuring prominently Geryon's tragic love for Herakles.
  • Carson, Anne. Autobiography of Red: A Novel in Verse. New York: Vintage, 1998.

Sunday, April 5, 2009

Eine Anleitung zum Trost


In Durs Grünbeins Roman Vom Schnee trifft der Leser den Menschen Descartes, der mit seinem Diener Gillot 1619 in einem süddeutschen Städtchen den Winter verbringt. Grünbein stellt uns den Menschen Descartes vor, der immer wieder den Konflikt von Körper und Geist erlebt. Im ersten Teil des Buches verkörpert der Diener Gillot das Körperliche, während Descartes als geistiger Lehrer auftritt. Grünbein versteht es mit feinem Witz diese getrennt gelebte Form des Dualismus und des Rationalismus auflaufen zu lassen. Fast schon grotesk wirkt die Situation als Descartes seinem Diener ‚Trost’ spendet, als dieser von einem erfrorenen Bauernkind im Dorf erzählt. Er habe geweint, erwähnt Gillot, den die tragische Geschichte berührt. Descartes erwidert darauf:

„Was lehrt uns das?“ „Monsieur ich habe geweint.“
„ Ein edler Zug – und ein Reflex. Schau, ein Kanal
Führt von den Tränendrüsen in den Sack der Bindehaut.
Dort staut es sich das salzige Sekret. Wir blinzeln,
Und mit dem Lidschlag wird es angesaugt uns schiesst –
Ein Dammbruch, in den Tränensack und bricht hervor:
Und schon verschwimmt die Welt vor unsern Augen.
Du schnappst nach Luft, dann spült der Tränenfluss dich fort.
Der Anlass? Findet sich. Das Herz wird leicht durchzuckt.
Was zählt, ist das Prinzip. Hydraulik. Wasserdruck.“


Gillot ist daraufhin verwirrt und versucht dann doch noch einmal seine Gefühlslage auszudrücken, verstummt schlussendlich aber.

Grünbein gelingt es einen grossen Denker und seine Theorie in die gelebte Welt zu setzen, und ihn dabei straucheln zu lassen, wie jeder andere Mensch auch - ohne respektlos, moralisch, oder sarkastisch zu werden.

Grünbein Durs, Vom Schnee 2003

Friday, April 3, 2009

"Ich bin nur Geist"

Im Seminar diskutierten wir zwei Arten, Vom Schnee zu lesen: Wir nannten die eine die 'naive Lesart', nach welcher Teil I vom jungen Denker Descartes in Deutschland, seinem die sinnliche Sphäre repräsentierenden Diener Gillot und dessen Geliebten Marie handelt. Eine komplexere Lesart ist dann diejenige, welche Gillot als sinnlichen Teil und inneren Monologpartner von Descartes ansieht, der sich damit selbst als reinen Geist versteht. Wie üblich ist die komplexere Lesart erst nach einer ersten, naiven Lektüre zugänglich. Dieser Beitrag versucht, herauszufinden, auf welche Art das Verhältnis eigen ist gegenüber anderen Texten, in welchen zwei Figuren sich als Teile einer 'wahren' (immer noch fiktiven) Figur herausstellen (Chuck Pahlaniuks Fight Club könnte als Gegenbeispiel der jüngeren Vergangenheit dienen, wird aber nicht diskutiert).

In beiden Lesearten kommt der kartesische Dualismus vor. In der naiven Lesart ist er aber nicht reflektiert: Die Figuren vertreten dort Eigenschaften auf eine ähnliche Art, wie es Figuren in der klassischen Literatur oft tun (man denke an die antiken Epen und Mythen): Sie inkorporieren diese Eigenschaften, sind nicht nach Eigenschaften strukturiert: Descartes ist Körper, Gillot ist Geist, der Geist erkennt (im Teil II), dass er nicht körperlos sein kann.

Die Pointe des kartesischen Dualismus aber ist gerade diese innere Struktur: der Geist erhält im Normalfall die Informationen über die Welt von den Sinnen, welche körperlich sind und beide, Körper und Geist, ergeben zusammen ein Individuum (erst dieses ist das ego). Das Projekt der Meditationes ist aber, dass der Geist aus sich selber so viel wie möglich erschliessen will. Dazu muss er zunächst einmal alles anzweifeln, was er über de Sinne weiss.

Dass diese innere Struktur in der naiven Lesart nicht vorkommt, macht es seltsam, den Text auf diese Weise zu lesen, wenn man die Meditationes kennt. Man kann die literarische Figur Grünbeins deswegen nicht mit den Theorien des Denkers verbinden. Diese Probleme löst die komplexe Lesart, da durch sie aus der philosophischen Idee des literarischen Descartes, er sei nur Geist, eine psychologisch-historische Interpretation der Biografie des historischen Descartes wird. Grünbein provoziert dann auf eine andere Weise, nämlich indem er in Descartes Theorien und in seiner Biografie Argumente dafür zu finden behauptet, dass Descartes persönliches Projekt war, möglichst nur Geist zu sein.

Der naive Leser, das ist üblicherweise ein Leser, welcher einen Text zum ersten Mal liest. Seine Naivität besteht in diesem angenommenen Normalfall darin, dass ihm Informationen fehlen, welche der Text erst zu seinem Ende offenbart. Speziell an Vom Schnee ist, dass der Teil II nur die grundlegende Irritation liefert: Die Figur Descartes scheint einen Wandel durchgemacht zu haben (übrigens ist dieser innere Wandel ein guter Grund, dafür zu argumentieren, dass wir es mit einer Romanfigur zu tun haben). Um zur komplexen Lesart zu gelangen, sind Kenntnisse von Theorie und Biografie Descartes notwendig, nicht, weil die literarische Situation und die literarische Figur offensichtlich diesen Theorien und Biografien entnommen ist, sondern weil die biographisch-historische Interpretation Grünbeins eine neue ist und der Leser dies gerade daraus erfährt, dass sich die Figur eben nicht überall so verhält und nicht immer dasselbe erlebt wie die historische Person und der Geist, wie wir ihn schlecht aus seinen Büchern kennen.

Der naive Leser von Vom Schnee ist also auf eine doppelte Weise naiv: Weder kennt er, den ersten Teil lesend, den Wandel, welchen die Figur durchmachen wird, noch kennt er notwendigerweise die Hintergründe, die er benötigen wird, um den Wandel zu verstehen.

Saturday, March 28, 2009

Regulae

Durs Grünbeins verse novel Im Schnee has several funny components. For instance, Descartes asks several times all through the novel his servant Gillot about certain rules (“Wie lautet Regel XY?”). Gillot, each time, recites the respective rule. Most of them seem somewhat odd and funny.

Maybe Grünbein wants to reference to Descartes’ Regulae ad directionem ingenii which, as I read on Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/René_Descartes) contains rules that should help finding the truth by means of intuition. This method consists basically in decomposing complex issues so as to be able to accept the single elements as true qua intuition. As it seems, these rules contradicted Descartes’ later conceptions and so, he stopped working on them. Posthumously published were only 21 of the 36 that Descartes had planned.

This might also explain the fragmentary character of the corpus of rules presented in Im Schnee. We get to know seven rules (rules 4 to 9, and rule 12). As mentioned before, they are rather weird but certainly there is something intuitive about them.

Here they are:

4: Dein Schulternzucken ist des andern Seelenqual (28)

5: Schütz Dein Gehirn (22 and elsewhere)

6: Sag niemals nie (25)

7: Von Dir wird bleiben nur, was Du einst aufgeschrieben (96)

8: Verstand ist aufgeteilt – gerecht in kleinen Dosen (92, see also the head of one of the canti)

9: Stör meine Kreise nicht (22); Fall dem Denker nicht ins Wort (17)

12: Bleib fein gallant, wart bis Du einestags zum Zuge kommst. Eine Dame fällt, überrascht Dir zu (101-102)

Friday, March 27, 2009

...

Durs Grünbeins Im Schnee oder Descartes in Deutschland ist eine Eloge auf den Philosophen René Descartes. In diesem Versroman beschreibt Grünbein den Aufenthalt Descartes im Winter 1619 in Deutschland. Während diesem Aufenthalt hatte der junge Descartes eine Vision die ihn zum Philosophieren veranlasste.

Dem Leser werden immer wieder Fragmente des Werdegangs der „Methode“ wie dieser ausgesehen haben könnte, offeriert. Die Versform erlaubt Grünbein allusionsmässige Einblicke ins Geschehen und vor allem in die Gedanken des Philosophen zu geben. So hat man mehr als einmal das Gefühl, Descartes Philosophie in ihren groben Zügen wieder aufgefrischt und verstanden zu haben. Ebenso erhält man interessante Informationen über die geschichtlichen Ereignisse aus der Zeit von Descartes.

Wohl um auf den Cartesianischen Dualismus einzugehen, aber auch, weil es mit Sicherheit der Wahrheit entspricht, wird nicht nur auf Descartes den Philosophen, sondern auch auf Descartes den jungen Menschen eingegangen, ja sogar beharrt:

 

„(...) Ich stell mir vor, Ihr seid

Im Innersten so wie der Schnee – Ihr absorbiert.

Was je gedacht, erfunden wurde, liegt für Euch bereit.

Tief in den Kammern Eures Riesenhirns gefriert

Zu Regel, Gleichung und Figur, was je Verstand

Und Scharfsinn fassen kann – wie unterm Frost das Land.“

 

„Ein Zerrbild ist, was Du malst. Der Philosoph –

Ein Eisblock, der das Pflänzchen Leben tiefgefriert.

So sieht man ihn: streng, logisch, schroff, selbst unbetroffen –

Ein Werkzeug, das die Vielfalt der Natur planiert.

Das bin ich nicht. Dagegen spricht mein Temperament.“

(...) (Cantus 12, Querelen)

 

Ebenso machen gewisse körperliche Phänomene wie Kältegefühl, Hunger, Bettnässen, Zahnschmerzen wie auch eine ganze Reihe Kraftausdrücke auf den Körper aufmerksam und halten dem Geist, in Form der philosophischen Gedanken Descartes die Waage.

Friday, March 20, 2009

The Vulgar and Bodily Experience: "Monsieur, erlaubt, ich muß mal pinkeln." (14.II.x)*

In a work centred around a philosopher like Descartes, the mind that brought us Cartesian dualism, one would expect a philosophical subject treated in a formal register. The form of Vom Schnee, with its approximate alexandrines and half-rhymes, implies an even more elevated diction. However, this turns out to be a mistaken assumption: At times Vom Schnee exhibits a striking predilection to revel in the vulgar, be it in subject matter or lexical choice. These two aspects correspond to the definition of the vulgar applied in this post. Vulgar is whatever, according to commonly accepted societal rules, is considered improper or taboo regarding subject and vocabulary.

In many cases Grünbein could have chosen other words to convey the same meaning. The line quoted in the title could have done without "pinkeln," which is vulgar or at least associated with childish (verbal) behaviour. Describing a horse, a line reads: "Und erst der Arsch - breit wie ein Scheunentor." (22.IV.iv) Instead of "der Arsch," one might have put "das Hinterteil." Further passages that could easily be reformulated without resorting to the vulgar are 8.V.x, 10.I.i, 34.IV.ix and 42.I.x. Obviously, one might argue that both changes proposed here affect the metre, but it would be no problem at all to work around that with another minor change.

Considering this, it seems that Grünbein specifically intends to emphasize and to dwell on the vulgar. Thus, "Monsieur, erlaubt, ich muß mal pinkeln" announces a whole stanza that describes how Gillot obeys the call of nature (14.III). Two stanzas in 8., IV and V, describe the miserable situation of Descartes who has apparently wet his bed. The end of this chapter both contrasts with and anticipates 14.III (where Gillot feels uncomfortable in the presence of Descartes):
Welch ein Spaß,
Breitbeinig dazustehn und hoch im Bogen schießt
Der heiße Strahl, der dir die Tränen in die Augen treibt.
Apropos Krieg: von allen Waffen ist - verzeih, Marie,
Die liebste mir noch der Urin, die Piß-Artillerie. (8.VII.vi-x)

In 9. three stanzas, I., II. and VI., are dedicated to Gillot's inability to rise to the occasion during the preceding night, to the great frustration of Marie. It seems awkward that a servant would tell his master about a shameful experience like this as if he were talking to an intimate friend. Interestingly, though, this episode leads Descartes to philosophical ruminations on the relation of body and mind:
[Descartes:] "Nicht nur der Geist, der Körper bockt,
Wenn ihm der Antrieb fehlt." [Gillot:] "Ach, es war wie verhext.
Das Fleisch war willig, doch das Hirn blieb renitent."
[Descartes:] "Kein Widerspruch." (9.II.v-viii)
Gillot alludes to the saying 'The spirit is willing but the flesh is weak' (of biblical origin, see Mark 14:38 and Matthew 26:41), yet 'spirit' has been replaced by 'brain.' The main twist, however, is that 'brain' - though bodily it metonymically represents the mind - and 'flesh' have exchanged their position in the sentence: 'The flesh was willing but the brain remained inert.' Triumphantly, Descartes states that this is no contradiction. An embarrassing incident, the mention of which is normally prohibited by taboo and thus vulgar, is turned into an argument in favour of Cartesian dualism.

Even though bodily experience is demeaned by resorting to a vulgar register, sexuality seems to be deeply connected to well-being, when Descartes inquires after Gillot's: "Wie stehts mit dir? Dir geht es gut, solange er sich regt..." (23.I.vii; emphasis in the original). The cynical overtone also apparent in 30.I.iv - "Wie gehts der Venus auf dem Dung?" - might be attributed to Descartes' disapproval of Gillot's sexual needs. And yet, another passage implies that Descartes himself has had an affair with Marie which he remembers with pleasure:
Er sank nun oft zurück in eine Zeit, so angenehm
Wie seither nichts. [...]
Sah ihren Leib. Am Po die Sommersprossen, auf den Händen. (36.VII.iv-v & viii)

It might therefore be nothing but jealousy that led him to demean Marie earlier. It is probably no coincidence that Descartes compares paradise and the female body and posits the latter as more real by far: "Das Paradies, hast dus gesehn, wie den Popo Maries?" (27.V.iii)

On the whole, Grünbein's resort to the vulgar in subject matter stresses the bodily component of human beings. Vulgar vocabulary emphasizes this point further and leads to an awareness that sometimes there are no other registers available to express bodily experience. The existence of a category such as the vulgar in itself reflects the notion that the immaterial is superior to the material, which is deeply rooted in Western culture since Plato (whose work is referred to in 16.VII.iv-v). It is precisely this preference of mind and soul over the body that Vom Schnee challenges.

* Instead of page references, I use the following system: The Arabic numbers refer to the chapter/poem, capitalized Roman numerals to the stanza and lower-case Roman numerals to the verse.

Work Cited
  • Grünbein, Durs. Vom Schnee. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003.

Wednesday, March 18, 2009

Durs Grünbein: „Die Zeit spielt gegen dich, mein Freund“ (53) „Ich bin stockblind. Ich kann nur sehn, was ich versteh.“ (59)


Vom Schnee ist ein völlig anderer Versroman als For all we know. Nicht nur die Form unterscheidet sich enorm. Nach den Fugue-Sonnetten von Carson, widmen wir uns nun einer in 42 Cantos verteilten Eloge aus jeweils sieben zehnzeiligen Strophen mit alexandrinerähnlichen Verszeilen. Mit diesem Erzählgedicht, das durch seine vielfältigen sprachlichen und formalen Facetten fasziniert, knüpft Grünbein an epische Werke von Dante, Milton und Goethe an und stellt sich in ihre Reihe. Doch die Form ist nicht das Einzige, was sich von For all We Know unterscheidet. Grünbein basiert sein Werk auf einer historischen Figur, Descartes, dessen Biographie und Philosophie, und zeichnet eine Persönlichkeit und ihre Bedürfnisse nach, welche zuvor meist ignoriert wurden. Die Person hinter den Schriften wird sicht- und spürbar. Dennoch nähern wir uns dieser Persönlichkeit wiederum durch Papier. Das Hörbuch könnte uns da jedoch einen alternativen Zugang verschaffen.

Bin ich doch leider wenig philosophisch veranlagt und begabt, habe ich Vom Schnee doch sehr in mich aufgesogen. Die humorvollen Dialoge haben mich oft zum Schmunzeln gebracht und ich habe das Erzählgedicht in einem Sog verschlungen. Vernachlässige ich die philosophischen Abhandlungen, fällt auf, dass die Themen, welche Descartes beschäftigen, sich gar nicht so grundlegend von denen von Gabriel unterscheiden. Ninas Uhren symbolisieren die Vanitas der heutigen Zeit, während Grünbein, diese Vergänglichkeit folgendermassen ausdrückt:

„Wenn ich nur zeichnen könnte, Herr. Ein Bild sagt mehr-" „Ich weiss, als tausend Worte.“ „Diesen Augenblick: Wer hält ihn fest?“ „Den Raum frisst Zeit, und dann verzehrt Der Raum die Zeit. Nichts bringt den Duft des Tags zurück.“ „Jetzt malt Ihr schwarz.“ „Ich sage nur: nichts bleibt, wies ist.“ „Die eine Nacht… ihr weicher Körper…alles ausradiert?“ (S. 42)

Das Wortspiel mit bekannten Sprichwörtern und Redewendungen in dieser Passage macht ein weiteres Merkmal des amüsanten und literarisch hervorragenden Versromans aus.

Wie Carson beschäftigt sich Grünbein auch mit der Wahrheit: „Die Wahrheit hilft dir selten, das Gesicht zu wahren.“ (S. 51). Deshalb widmet sich Grünbein vielleicht auch intensiv dem Traummotiv, weil er darin (im Unbewussten) die reinere Wahrheit zu finden hofft.

„Nur Ihr entkommt – mit Glück – dem Labyrinth der Zeit.“ (97) Und diesem Labyrinth kann die Liebe etwas entkommen. Aber:

Was Liebe ist? Jetzt, da er wachliegt, weiss er es genau. Ein Embryo, der wächst im Sprung der Lebensalter, Und dennoch klein und schwach und ungeboren bleibt. Das Paradox: der Mann trägt unterm Herzen ihn, die Frau Der Larve gleicht er, die beim Schlüpfen stirbt. Den Falter, Wer sah ihn je, zerdrückt im Lustgewühl der Leiber? Kaum einer zeigt schon, was da tief zuinnerst bebt. Nicht Diskretion, die Angst vor Ohnmacht unterdrückt, Was da verkannt, im Eingeweide schmachtend, lebt, Und will ans Licht. So mancher wird, enttäuscht, verrückt. (128-129).

Nach all den Bedürfnissen, Gefühlen und Gedanken gönnt sich Descartes gegen Ende des Versromans etwas Ruhe, wie die Natur im Winter. Dazu wird er von seinem Freund und Helfer (Grünbein oder Gillot?) aufgefordert:

Ruht Euch nun aus. Habt ihn verdient, den Schlaf. Ihr seid nicht Hamlet. Im Millionenschwarm nicht irgendeiner. Durchs Schlüsselloch drang sie zu Euch herein, die Welt. Man wird sie lesen, schon aus Argwohn, Eure Paragraphen. Im Glashaus sitzt Ihr, werft, längst tot, gezielt mit Steinen. Ihr wisst sehr gut, wie schnell ein Weltbild auseinanderfällt. Doch bis dahin habt Ihr den Kosmos, Stück für Stück, Gezählt, geprüft – gespannt, wohin ein jedes fällt. Klug sein und rechnen können: das, nur das war Glück. Die Welt des Denkenden, Ihr habt sie frei gewählt (134).

Am Ende bleiben die Fragen, welche die Menschen sich seit jeher stellen. Was ist der Sinn des Lebens? Wer sind wir? Was ist Liebe? Wieso vergeht die Zeit so schnell? Aber wenn wir uns alle etwas Ruhe zum Sinnieren gönnen – und der nächste Schnee kommt bestimmt – dann können wir uns den Antworten zu diesen Fragen für uns persönlich vielleicht annähern. Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf den nächsten Schnee.