Wednesday, May 6, 2009

Der fliegende Berg

Der Versroman von Christoph Ransmayr beginnt mit dem Tod und nimmt mit ihm seinen Anfang in der Geschwisterbeziehung von Liam und Pàdraic. Letzterer erinnert sich nach einem Nahtoderlebnis an seine Kindheit mit seinem Bruder. Er erinnert sich an den grossen Bruder, seinen Vater und seine Mutter. In wunderschönen, berührenden und farbigen Bildern erfährt der/die Leserin die Qualität der Beziehungen innerhalb der Familie.

Wenn Shona (Mutter) mich in einem Zuber unserer Waschküche
gebadet hatte (während Liam, der grosse Bruder
anschliessend und in meinemWaschwasser
ganz ohne Aufsicht Orkane, Sturmwellen
und Schiffskatastrophen entfesseln durfte),
hatte sie ihren Schwamm zu einem Nyemas Singsang
ähnlichen Kinderlied über meinen Körper geführt
und dabei alle Stationen der Waschung benannt, ...

In diesem intimen Bild erkennt der/die Leserin zwischen den Zeilen, wie es um die beiden Brüder, beziehungsweise dem Erzähler und der Mutter, steht. Aber Ransmayr ist nicht nur Meister im Erwecken der Bilder zwischen den Zeilen, er versteht es auch Stimmungen schlicht und leise zu beschreiben, selbst in hoch dramatischen Situationen. Dennoch ist die Wirkung effektiv, denn die Worte sind klar und scharf und werden nur durch das poetische Bild gemildert.

Die Lufttemperatur meiner Todesstunde
betrug minus 30 Grad Celsius,
und ich sah, wie die Feuchtigkeit
meiner letzten Atemzüge kristallisierte
und als Rauch in der Morgendämmerung zerstob.

Es ist beeindruckend, wie die Worte Bilder evozieren, die der Klarheit der Wortbedeutung die Schärfe nehmen. Die Geschichte der beiden Brüder, die vordergründig in einem Konkurrenzkampf stehen und aber Nähe suchen endet im Tod und mit dem Tod entdeckt der Jüngere die Liebe zu seinem Bruder. Ein wundervolles Buch!

2 comments:

  1. "Es ist beeindruckend, wie die Worte Bilder evozieren", da hast du völlig recht. Und jetzt weiss ich auch endlich an welchen Roman mich "Der fligende Berg" erinnert: Tschingis Aitmatow's "Dshamilja". Ich kann mich erinnern, dass auf der Rückseite des Buches stand "Die schönste Liebesgeschichte der Welt." Ich dachte Marcel Reich-Ranicki hätte das gesagt, aber ich habe nachgesehen und es steht:
    »Ich schwöre es, die schönste Liebesgeschichte der Welt.« (Louis Aragon)

    Ich finde das Kapitel "Der fliegende Berg" ist derart schön geschrieben, dass es "Dshamilja" übertrifft und das schönst Liebeskapitel der Welt für mich wird.

    Yvonne hat völlig recht: "Ein wundervolles Bucht!"

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  2. Das hat mich wohl zum Reisen inspiriert... "Buch" natürlich, nicht Bucht!!!

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