Hier erste Notizen zu Der fliegende Berg von Christoph Ransmayr:
Was bedeute eine Gestalt denn schon?
Es könne doch auch eine Nebelkrähe
bloß als kluger Vogel erscheinen
und zugleich ein Bote des Himmels sein—
ebenso wie das über einen Grat ins Tal einfallende
Morgenlicht zugleich den Sonnenstand und
den Lidschlag eines Gottes anzeigen könne,
und erst recht erscheine etwa ein Firnfeld,
das hoch oben unter den Gletschern den Mondschein spiegele,
einem schlaflosen Hirten als ein silbernes Tor in den Felsen
oder als ein Stück offenen Himmels!
und sei in Wahrheit? eben doch nur Schnee,
Schnee vom vergangenen Jahr. (198)
Die tibetanische Leart von diesen Verdoppelungen scheint beide Möglichkeiten zuzulassen. Die naturwissenschaftliche Lesart sieht eine Seite als die Wahrheit und die andere Seite als eine mythologische oder allegorische Deutung.
Die vorangegangene Diskussion von dem "Dhjemo" trägt noch ein weiteres Thema bei: die verschiedenen Namen, die einer Sache gegeben werden. "Dhjemo" und "Yeti" werden erwähnt, aber diese Figur ist der "Träger dutzender Namen," sowie der höchste Berg der Welt auch unter mindestens drei Namen im Buch vorkommt (123, 130, 133).
Diese beiden Themen ("in Wahrheit?" und Namen) werden auch mit Irland verbunden: "das wahre Irland" und die Verdoppelungen von geographischen Namen (Englisch und Gaelisch).
Ersteres kompliziert das obenstehende Bild von den tibetanischen Lesarten von Situationen. Im Bild vom "wahren Irland" sieht der Vater die Wahrheit in der Dichtung: "das wahre Irland" ist eine Darstellung der Auswanderung aus Irland, nicht Irland selbst:
Ein fensterloser Korridor etwa hieß das wahre Irland,
seit er dessen Wände mit Hunderten Fotos
und einer ölfleckigen Weltkarte tapeziert hatte ... (53)
Diese Fotos zeigen ausgewanderte Freunde und Verwandten:
Was für ein seltsamer Kontrast
zwischen den Sommerhimmeln
auf diesen Familienbildern und Porträts
...
und dem Dunkel unseres fensterlosen Korridors ... (54-55)
Zu den Fotos gibt es eine Weltkarte mit Stecknadelköpfen bei jedem Ort, wo die Ausgewanderten angekommen sind, sowie Fäden, die komplizierte Verbindungen zwischen den verschieden Orten (und den Herkunftsorten in Irland) klarmachen sollten.
Die Tibetaner verstehen die Welt doppelt, als natürliche und als übernatürliche Erscheinung. Der Naturwissenschaftler, dessen Weltbild in der Wendung "in Wahrheit" oben erscheint, braucht die übernatürliche Erklärung nicht, um in der Welt klarzukommen. Man könnte sagen, dass der Vater sein "wahres Irland" als Allegorie mehr Gewicht als das eigentliche Irland zumesst, aber das ist ein bisschen zu einfach. Erstens gibt es keine Stelle im Buch, wo der Vater das eigentliche Irland überhaupt mit dem "wahren" Irland vergleicht, und zweitens ist das Verhältnis zwischen diesen beiden Irlands nicht ganz in das oben entwickelte Schema einzukriegen. Es ist nicht das Verhältnis zwischen Welt und Allegorie oder Mythos.
Was bedeute eine Gestalt denn schon?
Es könne doch auch eine Nebelkrähe
bloß als kluger Vogel erscheinen
und zugleich ein Bote des Himmels sein—
ebenso wie das über einen Grat ins Tal einfallende
Morgenlicht zugleich den Sonnenstand und
den Lidschlag eines Gottes anzeigen könne,
und erst recht erscheine etwa ein Firnfeld,
das hoch oben unter den Gletschern den Mondschein spiegele,
einem schlaflosen Hirten als ein silbernes Tor in den Felsen
oder als ein Stück offenen Himmels!
und sei in Wahrheit? eben doch nur Schnee,
Schnee vom vergangenen Jahr. (198)
Die tibetanische Leart von diesen Verdoppelungen scheint beide Möglichkeiten zuzulassen. Die naturwissenschaftliche Lesart sieht eine Seite als die Wahrheit und die andere Seite als eine mythologische oder allegorische Deutung.
Die vorangegangene Diskussion von dem "Dhjemo" trägt noch ein weiteres Thema bei: die verschiedenen Namen, die einer Sache gegeben werden. "Dhjemo" und "Yeti" werden erwähnt, aber diese Figur ist der "Träger dutzender Namen," sowie der höchste Berg der Welt auch unter mindestens drei Namen im Buch vorkommt (123, 130, 133).
Diese beiden Themen ("in Wahrheit?" und Namen) werden auch mit Irland verbunden: "das wahre Irland" und die Verdoppelungen von geographischen Namen (Englisch und Gaelisch).
Ersteres kompliziert das obenstehende Bild von den tibetanischen Lesarten von Situationen. Im Bild vom "wahren Irland" sieht der Vater die Wahrheit in der Dichtung: "das wahre Irland" ist eine Darstellung der Auswanderung aus Irland, nicht Irland selbst:
Ein fensterloser Korridor etwa hieß das wahre Irland,
seit er dessen Wände mit Hunderten Fotos
und einer ölfleckigen Weltkarte tapeziert hatte ... (53)
Diese Fotos zeigen ausgewanderte Freunde und Verwandten:
Was für ein seltsamer Kontrast
zwischen den Sommerhimmeln
auf diesen Familienbildern und Porträts
...
und dem Dunkel unseres fensterlosen Korridors ... (54-55)
Zu den Fotos gibt es eine Weltkarte mit Stecknadelköpfen bei jedem Ort, wo die Ausgewanderten angekommen sind, sowie Fäden, die komplizierte Verbindungen zwischen den verschieden Orten (und den Herkunftsorten in Irland) klarmachen sollten.
Die Tibetaner verstehen die Welt doppelt, als natürliche und als übernatürliche Erscheinung. Der Naturwissenschaftler, dessen Weltbild in der Wendung "in Wahrheit" oben erscheint, braucht die übernatürliche Erklärung nicht, um in der Welt klarzukommen. Man könnte sagen, dass der Vater sein "wahres Irland" als Allegorie mehr Gewicht als das eigentliche Irland zumesst, aber das ist ein bisschen zu einfach. Erstens gibt es keine Stelle im Buch, wo der Vater das eigentliche Irland überhaupt mit dem "wahren" Irland vergleicht, und zweitens ist das Verhältnis zwischen diesen beiden Irlands nicht ganz in das oben entwickelte Schema einzukriegen. Es ist nicht das Verhältnis zwischen Welt und Allegorie oder Mythos.
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