Sunday, May 17, 2009

Vier Versromane / Vier Mal Liebe



In For All We Know begegnet der Leser/ die Leserin der Liebe durch die Erinnerung eines Liebenden an seine verstorbene Liebe. Ein Mann, der sich an Gespräche mit seiner Geliebten erinnert und dadurch sich, sein Gegenüber und ihre Liebe zu begreifen sucht.

So carefully did you measure your words it seemed to me
You rareley said what first came to mind. You reserved judgement.


Zwischen den Zeilen bleibt eine Unsicherheit hängen, die immer wieder aufflammt. Eine verlorene Liebe, die scheinbar erst im Nachhinein für Unsicherheit sorgte (?). Es bleibt unklar, wer, wie empfunden hat- und doch sind die beschriebenen Gefühle so nah und dicht.

Ganz rational und analytisch hingegen begegnet der Leser/ die Leserin der Liebe in Durs Grünbeins Vom Schnee. Déscartes, der im Winter des 17. Jahrhundert in einem verschneiten deutschen Dorf festsitzt, erklärt seinen Diener, wie die Liebe funktioniert.

„ Zwei Kräfte sind: Begehren und er gute Wille,
Was sie bewegt, die Seele, von der Liebesmacht gereizt.
Amor et Studium- die noble Sorge und der dunkle Trieb,
ein Hochgefühl, und ein Verlangen, kaum zu stillen.
So generös das eine, nährt das andere Eifersucht und Geiz.
Ein Alibi für alle, das ist Liebe, und eine Grund, warum
Die Welt ist, wie sie ist – zerrissen, böse unregiert.“

Ein ewiger Kampf zwischen Geist und Körper scheint für Décartes die Liebe zu sein. Ein grosser Denker kämpft mit seinen Gefühlen und scheitert an denselben. In dem kalten Setting der Winterlandschaft verfolgt der Leser/die Leserin das Ringen von Körper gegen Geist.

Beim dritten Versroman ist das Körperliche des Protagonisten Thema der Ausgrenzung und der Besetzung durch Missbrauch. Autobiography of Red zeichnet das Bild des Liebenden, der still begehrt, liebt und wartet bis es das Gegenüber bemerkt. Geryon steht bewundernd und still im Hintergrund. Gelähmt hofft er auf Erlösung durch eine Begegnung, die nie wirklich stattfindet. Geryon trifft Herakles:

They were two superior eels
At the bottom of the tank and they recognized each other like italics.

Die vermeintliche grosse Liebe löst sich aber nach einer heftigen letzten Liebesnacht in Luft auf.

I once loved you, now I don’t know you at all.


Schlussendlich wird die Liebe im letzten Buch erst durch den Tod möglich. Zwei Brüder, die einen Berg in Tibet besteigen, erlebten zeitlebens Entfremdung und Distanz. Ein lebenslanger Konkurrenzkampf um Anerkennung und Verständnis für die Perspektive des anderen gipfelt im Schneesturm auf dem fliegenden Berg. Mit dem Tod des einen Bruders wird Liebe und Verständnis möglich.

Tot.
Er hatte mich in einem Wirbel aus eisstarren Faltern
In den Armen gehalten.
Er hatte mich gewärmt und mich ins Leben zurückerzählt (...)

Vier Versromane, die unter anderem die Liebe beschreiben. Unterschiedlicher könnten die Protagonisten, die Settings und die Geschichten nicht sein, aber alle vereint die Dichte und Nähe des Geschehens zum Leser/zur Leserin.

Zitierte Werke:

For all We Know Ciaran Carson
Vom Schnee Durs Grünbein
Autobiography of Red Anne Carson
Der fliegende Berg Christoph Ransmayer

Friday, May 15, 2009

der freie Flattersatz

In der “Notiz am Rand”, die Christoph Ransmayr seinem Werk Der fliegende Berg vorangehen lässt, grenzt er sein Werk klar von der Poesie ab. Es sei „da und dort das Missverständnis laut geworden, bei jedem flatternden, also aus ungleich langen Zeilen bestehenden Text handle es sich um ein Gedicht.“ Diesem „Irrtum“ wirkt Ransmayr entgegen indem er sein Werk explizit als Roman (siehe Umschlag) klassifiziert.

Bei der Lektüre wird der Leser jedoch effektiv erstmals dazu verleitet, zu glauben, es handle sich bei dem „in Strophen gegliederten Flattersatz“ um Verse. Der Grund, meint Ransmayr sei, dass „wir uns daran gewöhnt [haben], dass Prosa im Blocksatz daherkommt und Lyrik gemeinhin im Flattersatz. Aber wo steht geschrieben, dass das immer so sein muss?“ (http://oe1.orf.at/highlights/65693.html)

Tatsächlich handelt es sich in Der fliegende Berg um rhythmische Prosa. Diesen Rhythmus glaubt Ransmayr im Flattersatz, den er in Anlehnung an den Titel seines Romans auch den fliegenden Satz nennt, sichtbar zu machen. Als eine Art Partitur soll der Flattersatz auch dem Publikum den Nachvollzug erleichtern, da er dem „Rhythmus des Sprechens“, dem Rhythmus, „in dem [Ransmayr] die Geschichte erzählen würde“, entspreche (ibid.).

Der Blocksatz, so Ransmayr (http://www.medienbuero-niessen.de/84-0-Christoph-Ransmayr-2006.html) ist eine (technisch ökonomische) Druckform, nicht aber eine Erzählform. Ebenso, ist der Flattersatz eine sehr alte Textform, die jedoch auch heutzutage alles andere als ungewöhnlich für Prosatexte ist, wie man zum Beispiel in den Spalten in Tageszeitungen sehen kann (ibid.).

„Der Flattersatz ist frei und gehört nicht allein den Dichtern!!!“ 

Friday, May 8, 2009

Autobiography of Red - silly criticism though I liked it

Anne Carson’s verse novel Autobiography of Red is a rewriting of the Greek myth of Geryon. At least, this is what Carson pretends it to be by adding to the novel a rich frame about the myth by the greek author Stesichoros. According to the myth, Geryon is a red winged monster, the keeper of a cattle of red bulls. He is killed by Heracles whose tenth labor was it to steal that cattle. Carson rewrites this myth from the perspective of the monster or rather the victim.

The story is about a boy who is reputed to be also a red winged monster. However, as the story goes on, the reader can very well imagine that this pretended monstrosity and redness is simply a complex of Geryon who feels different. When Geryon is a child, his elder brother sexually abuses him. Paradoxically – or typically? – later, as he “makes it somehow to adolescence” (39), he is gay too. He meets Heracles and they have a relationship. This relationship does not last; Heracles breakes it off, and brakes Geryon’s heart. But is this already his death, as in analogy to the myth? And what about the cattle? Actually, one could ask several times all through the novel what exactly the reference to the frame is. It says there “Arrow means kill” (13). Of course it could be like Amor’s arrow and Geryon’s death can be understood in a figurative way as his lost of a big love and the consequent death of something inside him. But is that not too simple? What follows does not happen in the novel at all, not even in a figurative way: “It parted Geryon’s skull like a comb Made / The boy neck lean At an odd slow angle sideways as when a / Poppy shames itself in a whip of Nude breeze” (ibid.) The only thing that could be found is maybe that a Poppy is red… .

There are more such examples that show that there is a certain inaccurateness between the story and its frame and Carson knows that. Thus her Stesichoros says at the end of the interview: “so glad you didn’t ask about the little red dog” (149).

Thursday, May 7, 2009

Den Berg bezwingen?

(Vorbemerkung: Dieser blogpost behandelt ganz offensichtlich nicht Ransmayers Buch. Er gibt im besten Fall einen Referenzpunkt, mithilfe dessen man 'Der fliegende Berg' in der Abenteurerliteratur verorten kann).

Erstbesteigungen sind rar geworden. Dies, so eine intuitive Antwort, aufgrund des technischen Fortschritts was Kartographie, Ausrüstung und Medizin betrifft. Bis ins neunzehnte Jahrhundert, in welchem viele dieser Gebiete entscheidend vorankamen, waren solche Expeditionen aber häufige Unternehmungen, welche ausserdem von den entstehenden Staaten materiell unterstützt wurden. Letzteres deshalb, weil der aufkommende Nationalismusdiskurs es für die Elite eines Staates auf eine Weise notwendig machte, ihr Land als das Beste dastehen zu lassen, die uns heute nur noch schwer vorstellbar ist.
Als eine Art Leistungsnachweis lieferten die Abenteurer dem Staat nicht nur Pflanzen und kulturelle Relikte ab, sondern auch Reisetagebücher, also Dokumentationen der Expedition. In einem der wohl bekanntesten Tagebücher dieser Art schreibt der deutsche Forscher Alexander von Humboldt: „[...] sammelten wir viele Steine, von denen wir 2 Sammlungen nach Madrid und Paris schickten und die dritte für das Kabinett des Königs in Berlin bei uns behielten. Wer in Europa würde nicht einen Stein vom Chimborazo haben wollen, und wo gibt es bis heute ein Kabinett, das einen solchen besitzt?“ (Humboldt 2006: 98f.).
Insbesondere ist es aber für diesen klassischen Versuch einer Bergbesteigung im frühen 19. Jahrhundert (Humboldt verfehlte das Ziel, den Gipfel, knapp, weshalb es kein Wunder ist, dass er im Nachhinein befand: „Welchen Nutzen hätte man davon, wenn man seine Instrumente 200 Toisen höher trüge, auf ein Gelände, wo das Gestein sich der Beobachtung entzieht, auf einen Berg, der für magnetische Experimente ungeeignet ist, weil das Gestein die Magnetnadel beeinflußt und selbst Pole besitzt“ (ebd.: 97).) typischerweise ganz zentral, dass es sich um eine Erstbesteigung handelt: „Auch sind wir die ersten Naturforscher gewesen, die diesen Koloß eigens aufgesucht haben. Née und Piñeda haben ihn nur beim Überqueren der ensillada [des Gebirgspasses] gesehen“ (ebd.: 99). Für die nationalistisch motivierten Geldgeber der Expedition wäre es äusserst unglücklich, zu wissen, dass ‚Eingeborene’ den Berg bereits bestiegen hatten, der ja nun als grosse Leistung der deutschen Nation zum ersten Mal von einem Deutschen bestiegen werden sollte.
Natürlich lässt sich an diesem Punkt die Bezeichnung der Erstbesteigung vielfach problematisieren. Auf eine Weise zum Beispiel als männliche Selbstbehauptung (eigenartig: eine Gender-Perspektive auf Menschen in der Vertikale). Auf eine andere Weise, weil nur, dass die zwei einheimischen Führer noch nie auf den Gipfel des Chimborazo bestiegen hatten, noch nicht heisst, dass ihnen nicht andere Menschen zuvorgekommen waren. Mit dieser Problematisierung entmystifiziert sich die ganze Idee einer Erstbesteigung natürlich. Und wirklich: wer traut sich heute noch, zu behaupten, er sei der erste Mensch an einem Ort? Erstbesteigungen sind nicht einfach rar, sie sind gar, die gestrigen wie die heutigen, dubios geworden.

Literatur:
- Humboldt, Alexander von: Ueber einen Versuch den Gipfel des Chimborazo zu ersteigen. Hg. von Oliver Lubrich u. Ottmar Ette. Berlin 2006.

Abbildung:
- Alexander von Humboldt und Aime Bonpland am Fuß des Vulkans Chimborazo. Gemälde von Friedrich Georg Weitsch (1810). Dieses Bild ist gemeinfrei.

Wednesday, May 6, 2009

Der fliegende Berg

Der Versroman von Christoph Ransmayr beginnt mit dem Tod und nimmt mit ihm seinen Anfang in der Geschwisterbeziehung von Liam und Pàdraic. Letzterer erinnert sich nach einem Nahtoderlebnis an seine Kindheit mit seinem Bruder. Er erinnert sich an den grossen Bruder, seinen Vater und seine Mutter. In wunderschönen, berührenden und farbigen Bildern erfährt der/die Leserin die Qualität der Beziehungen innerhalb der Familie.

Wenn Shona (Mutter) mich in einem Zuber unserer Waschküche
gebadet hatte (während Liam, der grosse Bruder
anschliessend und in meinemWaschwasser
ganz ohne Aufsicht Orkane, Sturmwellen
und Schiffskatastrophen entfesseln durfte),
hatte sie ihren Schwamm zu einem Nyemas Singsang
ähnlichen Kinderlied über meinen Körper geführt
und dabei alle Stationen der Waschung benannt, ...

In diesem intimen Bild erkennt der/die Leserin zwischen den Zeilen, wie es um die beiden Brüder, beziehungsweise dem Erzähler und der Mutter, steht. Aber Ransmayr ist nicht nur Meister im Erwecken der Bilder zwischen den Zeilen, er versteht es auch Stimmungen schlicht und leise zu beschreiben, selbst in hoch dramatischen Situationen. Dennoch ist die Wirkung effektiv, denn die Worte sind klar und scharf und werden nur durch das poetische Bild gemildert.

Die Lufttemperatur meiner Todesstunde
betrug minus 30 Grad Celsius,
und ich sah, wie die Feuchtigkeit
meiner letzten Atemzüge kristallisierte
und als Rauch in der Morgendämmerung zerstob.

Es ist beeindruckend, wie die Worte Bilder evozieren, die der Klarheit der Wortbedeutung die Schärfe nehmen. Die Geschichte der beiden Brüder, die vordergründig in einem Konkurrenzkampf stehen und aber Nähe suchen endet im Tod und mit dem Tod entdeckt der Jüngere die Liebe zu seinem Bruder. Ein wundervolles Buch!

Saturday, May 2, 2009

Ciaran Carson on Belfast

I happened to get Ciaran Carson's translation of Dante's Inferno right after we finished discussing For All We Know, and I could not resist reading it right away. It is an exhilarating book, but what I want to refer you to here is this, from Carson's introduction:

Natives of Belfast claim that they can tell each other's identities—Protestant or Catholic—by a combination of accent, vocabulary, clothes, bearing, and gesture.

This confirms our reading of Gabriel's comments to Nina in the second "Birthright" poem in For All We Know.

Thursday, April 30, 2009

Ransmayrs "Der fliegende Berg" - Kitsch oder wunderschöner Epos?

Christoph Ransmayrs “Der fliegende Berg” war der erste Roman, den ich für das Seminar in den Semesterferien gelesen hatte. Daher habe ich mich relativ unvoreingenommen auf das Buch eingelassen und war fasziniert von der poetischen Sprache Ransmayrs. Schon das erste Kapitel hat mich in seinen Bann gezogen. Das Buch fängt mit den Zeilen: “Ich starb / 6840 Meter über dem Meeresspiegel / am vierten Mai im Jahr des Pferdes.” an, und schon ist man mittendrin in Ransmayrs Epos über Bruderliebe und -hass, Natur und Moderne, Leben und Tod.
Viel mehr als der Inhalt hat mich an diesem Roman die Sprache gefesselt. Ransmayr schafft es, sehr detailgetreu zu schreiben, und dabei wunderschöne Bilder zu evozieren:

“Die Lufttemperatur meiner Todesstunde
betrug minus 30 Grad Celsius,
und ich sah, wie die Feuchtigkeit
meiner letzten Atemzüge kristallisierte
und als Rauch in der Morgendämmerung zerstob.” (9)

“Und die Sterne erloschen auch nicht,
als über den Eisfahnen die Sonne aufging
und mir die Augen schloss,
sondern erschienen in meiner Blendung
und noch im Rot meiner geschlossenen Lider
als weiss pulsierende Funken.” (10)

Viele Kritiker scheinen allerdings gar nicht meiner Meinung zu sein, für sie ist Ransmayr “ziemlich kitschig” (Peter Mohr, Titel Magazin), im Tonfall “einer esoterischen Kunst” geschrieben (Ijoma Mangold, Süddeutsche), und die NZZ Online schreibt: “Der hohe Ton, den Ransmayr wie kaum einer beherrscht, läuft Gefahr, sich abzunutzen, und er stösst da an seine Grenzen, wo es Banales zu erklären gibt (wie etwa ein Mousepad)”. Auch Rachel Vogt von der WOZ findet, dass Ransmayr sich in Platitüden verheddert, wenn er von der Liebe spricht.
Es mag sein, dass Ransmayrs gehobener Stil tatsächlich nicht für alle Beschreibungen von Alltäglichkeiten angemessen ist, und zuweilen etwas seltsam anmutet. Man darf aber nicht vergessen, dass dieses Buch eigentlich dazu bestimmt ist, vorgelesen zu werden, und daher der Klang der Sprache, die Wortwahl und die Zeilenumbrüche besonders wichtig sind. Mit diesen Werkzeugen schafft es Ransmayr, wunderschöne, eindrückliche Passagen zu erschaffen:

“Ich war gestorben.
Er hatte mich gefunden.” (11)

“Ich war müde, unsagbar müde.
Wollte liegenbleiben.
Liegenbleiben, schlafen.
Schlafen.” (15)

“Sie beugten sich über mein Elend,
über einen von der Sonne und vom Frost
verbrannten Fremden,
der mit blutenden Händen zu ihren Füssen lag
und der nach den Erzählungen des Sängers
vom fliegenden Berg gefallen war,
aus dem Himmel
in den Schnee.” (23)

So stimme ich mit Ludger Lütkehaus von der Zeit überein, der schreibt: “Aber Ransmayrs Fliegender Berg erinnert auch daran, dass gerade große Literatur öfters dort entsteht, wo die Kitschgrenze nur haarscharf vermieden wird.“